Fürsorge vom Feinsten: stationäre Schmerztherapie
Akute Exazerbation des multiplen Schmerzsyndroms im Rahmen des Ehlers-Danlos-Syndroms – so steht’s in der Akte. Und so lande ich am 23. April in der Klinik. Es geht mir elend. Ich weiß, dass mir niemand wirklich helfen kann. Aber vielleicht eine neue, wirksamere Schmerztherapie.
Das Krankenhaus ist klein, verbindet Schul- und alternative Medizin. Von großen Häusern, in denen Patienten Nummern und Ärzte mit dem seltenen Ehlers-Danlos-Syndrom überfordert sind, habe ich genug. Tatsächlich: Hier ist alles anders.
Ich werde schon bei der Ankunft bestens umsorgt. Die Ärztin hat Zeit. Liest sich in die EDS-Symptomatik ein. Kein Pfleger, der nicht ausführlich nachfragt, keine Schwester, die sich nicht erkundigt, ob noch etwas fehle, sie noch etwas tun oder bringen könne. Matratzenauflage mit Visco-Schaum? Ja, bitte. Tee, Kaffee? Wird beides gern genommen. Einreibung mit Schmerzöl? Was für eine Frage! Der Chefarzt begrüßt mich persönlich. Einige Tage später nimmt er sich nach Feierabend zwei Stunden Zeit für ein Gespräch.
Die Schmerztherapie ist umfassend. Geholfen hat sie leider kaum. Medikamente wie Novalgin und Tilidin, die ich schon lang nehme – Tilidin nach Bedarf –, werden anders dosiert. Es erfolgt ein Versuch mit dem starken Opiat Palladon. Aus dem Alternativmedizinbereich gibt’s täglich Infusionen mit Disci/Rhus tox., Bryonia/Stannum, Cartilago, Aconit und Mesenchym. Äußerlich erhalte ich morgens Fußbäder, je nach Verfassung mit Rosmarin oder Weißtanne, später Nieren- und Leberauflagen mit Zingiberis off. und Achillea mill., Gelenkwickel mit Aconitöl und Ganzkörper-Ölbäder mit Hypericum, Equisetum und Solum.
Ich male wieder, porträtiere meine Tigerkater Grisù und Fuchur. Die Menschen sind fürsorglich und zugewandt. Allein das bildet eine wohltuende Ausnahme in der Krankenhaus- und Ärztelandschaft.
Ein prachtvoller Seelentröster ist auch der weitläufige, blütenduftende Garten. Hier sitze ich gern mit der alten, weisen Hilda aus Kasachstan, der tiefgründigen Künstlerin Astrid und der stillen Helga. Meine Mitpatientinnen sind mir schnell ans Herz gewachsen, und eines Abends mache ich bei Kerzenlicht eine spontane Krimilesung für sie. Das Beste am Garten sind aber nicht die summenden Bienen, die eigene Kräutergärtnerei oder der plätschernde Bachlauf. Für mich als Katzenfrau kann das nur einer sein: der Klinikkater. Ein fast zahnloser Tiger ohne Schwanz, der schon jahrelang hier wohnt und vom Hausmeister gefüttert wird, von dem aber niemand weiß, woher er kommt und wie er heißt. Also taufe ich ihn Nico. Nico kommt sofort angetrabt, wenn er mich ortet und schaltet auf Kampfschmusermodus. Meine eigenen Tiger vermisse ich wie verrückt.
Am dritten Tag traue ich mich allerdings nicht mehr raus. Denn ich sehe aus, als hätte ich Masern, Scharlach, fünf Allergien und einen Sonnenbrand gleichzeitig. Was es ist, das meine Hautproblematik dermaßen triggert, finden wir nicht heraus. Nur, dass nichts dagegen hilft. Kein Loratadin, kein Fenistil, keine Salben.
Was sehr gut tut, sind die Gespräche mit den Ärzten und einem weiblichen Coach, die schwer erkrankte Menschen betreut. Es geht nicht nur um Symptome und Therapien. Thema sind die eigene Geschichte, das Jetzt, das Leben mit der zunehmenden Behinderung. Wir reden über das soziale Umfeld, über Verzeihen, Erwartungen und konkrete Hilfen im Alltag. Zum Start wird eine Haushaltshilfe für die vier Wochen nach der Klinik beantragt. Außerdem bestelle ich für zu Hause eine neue Matratze. Weil ich auf dem Vicoschaum bedeutend besser und schmerzärmer schlafe.
Weil weder Schmerztherapie noch Hautbehandlung Besserung bringen, versuchen wir am letzten Kliniktag eine Hyperthermie. Sie zeigt oft Erfolg bei chronischen Schmerzerkrankungen wie zum Beispiel Fibromyalgie und wird auch bei Krebspatienten eingesetzt. Der künstlich herbeigeführte Anstieg der Körperkerntemperatur auf bis zu 40 Grad soll Tumorzellen töten. Ich lege mich also in diese Art Zelt, das mich mit vier Infrarot-Quellen langsam aufheizt. Das Wasser dringt mir aus jeder Pore. Ich werde knallrot. Die Schwester legt mir alle paar Minuten kalte Umschläge auf die Stirn. Zweieinviertel Stunden halte ich aus. Ziel wären drei gewesen. Schaffe 38 Grad. Angeblich sehr gut fürs erste Mal. Bis zum nächsten Tag kann ich ohne Schmerzen Treppen steigen. Dann kehren die Schmerzen langsam zurück. Und ich nach Hause. Mach’s gut, Nico, pass auf Dich auf!
Kaum zur heimischen Wohnungstür drin, muss ich erst einmal Katzen bekuscheln. Zwölf Tage Tigerentzug ist echt viel für mich. Trotz Nico. Fuchur ignoriert Tendopathie und Schleimbeutelentzündung, springt auf meine Schulter und wickelt sich förmlich ummeinen Hals. Grisù scheint an meinen Beinen festgeklebt und plappert pausenlos. Krabat und Momo miauen und schnurren laut und die kleine Merle wirft mir Bällchen zum Apportieren-Spielen vor die Füße. Sogar Pauline, eher scheu, muss dringend ganz viel köpfeln. Nur Frau Fussel Fressmaschine harrt vor dem Futterschrank aus und schaut mich mit ihren riesigen Augen erpresserisch an.
Zwei Tage später kann ich auch schon wieder in den Spiegel schauen. Der Ausschlag geht zurück, die aufgeplatzten Stellen heilen schnell ab und die Haut hängt nicht mehr in trockenen Fetzen aus meinem Gesicht. So kann ich auch am Montag dem Postboten öffnen, der ein riesiges Paket bringt: die neue Visco-Matzratze. Und den Brief meiner Krankenkasse: Haushaltshilfe ist genehmigt. Vier Wochen also Erleichterung. Die Schmerzmedikation bleibt wie vor der Klinik. Damit geht es mir am besten. Opiate wirken eben wie Bonbons bei mir: gar nicht. Vielleicht werde ich einen weiteren Cannabisversuch starten. Mit anderer Zubereitung oder Einnahme.
Wo ich weiter ansetzen werde: Ich plane in einigen Monaten eine weitere Hyperthermie, dann im Doppelpack mit drei Tagen Abstand. Die Impulse zum Umgang mit der Erkrankung und meiner Biographie sollen ausgebaut werden. Und mit Coach Luisa – sie ist wirklich ganz großartig und wunderbar auf Augenhöhe – habe ich da auch eine dauerhafte Ansprechpartnerin.