„Du schaffst das“ & Co.: Zehn Sätze, die man Schwerkranken nicht sagen sollte

„Du musst kämpfen!“ –  „Du darfst nicht aufgeben!“ – „Du musst positiv denken!“: Fast täglich hören Schwerkranke diese Floskeln. Und geraten dabei noch mehr unter Druck. Sie müssen, sie sollen, sie dürfen (oder auch nicht). Dabei können und wollen sie oft längst nicht mehr. Auch ich bin mit solchen Sätzen häufig konfrontiert. Weshalb ich darüber nicht böse bin und wie man’s dennoch besser sagen kann – ein Beitrag zum Nachdenken. 

Zeichnung + Foto / Copyright: Petra Busch

Ich bin eine Frau der Sprache. Ich bin ausgebildete Hospizhelferin. Und professionelle Patientin. Ich weiß, wie das funktioniert mit der Gesunder-Kranker-Kommunikation. Nicht erst seit meiner eigenen Diagnose. Das macht es mir leicht, über gut gemeinte und schlecht formulierte Sätze hinwegzusehen. Weil ich weiß, dass sie unreflektiert dahingesagt sind. Und dahinter das Bedürfnis steckt irgendetwas zu sagen, das tröstet.

 

Du musst kämpfen!

Du schaffst das!

Du darfst jetzt nicht aufgeben!

Du musst positiv in die Zukunft schauen!

Denk jetzt unbedingt nur noch an dich selbst!

Verliere bloß den Mut nicht!

Du bist so eine starke Frau, das packst du!

Ich bewundere dich, wie du damit umgehst.

Kopf hoch, das wird schon.

Jetzt reiß dich doch endlich zusammen!

 

Der unreflektierte Imperativ: Warum befehlen Gesunde den Kranken?

Wenn Menschen schwer erkranken, stehen Familie und Freunde erst einmal unter Schock. Leiden, Sterben, Tod – das Damoklesschwert kreist sofort über den Häuptern der Lieben. Natürlich muss es abgewendet werden. Und so setzt man der drohenden Niederlage eine klare Ansage entgegen: Kampf, positives Denken, Mut, Zusammenreißen. Mit ihren Befehlen verdrängen viele ihre Ängste. Vor dem eigenen Sterben, dem Verlust, dem Alleinsein. Sie können Ausdruck der Unsicherheit und Hilflosigkeit sein. Wie soll man mit der Situation, dem erkrankten Menschen umgehen? Oder sie versuchen, Zuversicht zu geben, obwohl diese so gar nicht hilft.

Denn es scheint mittlerweile belegt: Auch der größte Optimismus und stärkste Lebenswille überwinden eine schwere Krankheit nicht. Entweder die Medizin schafft das – oder der Patient stirbt. Krebskranken stehen hochmoderne Therapien zur Verfügung, für viele gibt es Heilung. US-Studien zufolge hilft bei dieser aber kein noch so starker Wille. Dass Krankheit und die daraus resultierende Trauer die Sterblichkeit erhöhen, umgekehrt jedoch Glück und eine positive Grundhaltung die Mortalität nicht reduzieren, stützt neben anderen auch eine australische Studie. Bei Gendefekten wie zum Beispiel Mukoviszidose, Chorea Huntington oder „meinem“ Ehlers-Danlos-Syndrom (mitsamt meinen lebensgefährlichen Komorbiditäten) hilft positives Denken erst recht nicht. Beeinflussen kann unser Geist allenfalls den Umgang mit schweren Erkrankungen.

Das unermessliche Durchhaltevermögen: Wer beurteilt anderer Leben?

Feuern Außenstehende ihre kranken Angehörigen oder Freunde immer wieder mit Durchhalteparolen an, erhöht das den Druck. „Du wirst gesund! Gib nicht auf!“ Selbst, wenn die Prognose „Tod“ heißt, wecken Parolen Hoffnung. Verleiten zu noch einer und noch einer und noch einer Behandlungen, die nicht hilft. Das dritte Jahr mit Gehirnschädigung künstlich beatmet, die siebte Chemo, die elfte Gefäß-OP. Therapien, die das Sterben verlängern. Nicht das Leben.

Selbst am Sterbebett können manche das nahende Ende eines geliebten Menschen nicht akzeptieren. „Du hast doch zwei kleine Jungs!“ „Wer soll sich denn um den Weinhandel kümmern?“ „Du darfst mich nicht allein lassen, ich bin doch selber krank!“ Wie oft habe ich im Hospiz Angehörige so reden hören. Als könne die Existenz von Kindern oder eines Geschäfts dem Tod die Schippe aus der Hand reißen. Als könne ein „Du musst positiv in die Zukunft schauen“ Erbinformation mutierter Gene mal rasch auf „richtig“ programmieren und alles würde gut.

Doch sind Durchhalteparolen nicht anmaßend? Nicht entmündigend? Woher nehmen sich Außenstehende das Recht zu beurteilen, ob jemand kämpfen, positiv denken und durchhalten muss? Für mich als Verfechterin des selbstbestimmten Lebens (und dazu gehört auch das Sterben) ist es ganz klar: Es ist mein Dasein. Meine Erkrankung. Nur ich spüre, was mit mir passiert. Nur ich entscheide, wie ich damit umgehe. Müssen tue ich da erst mal gar nichts. Weder etwas schaffen noch kämpfen und erst recht nicht mich zusammenreißen. Und wenn ich vielleicht irgendwann sage: Jetzt ist es genug, ich möchte keine Therapien mehr, keine riskanten OPs, keine Schmerzen, keinen weiteren Verfall, dann ist das so. Da redet mir niemand rein.

 

Bevor Du urteilen willst über mich oder mein Leben,

ziehe meine Schuhe an und laufe meinen Weg.

Durchlaufe die Straßen, Berge und Täler,

fühle die Trauer, erlebe den Schmerz und die Freude.

Durchlaufe die Jahre, die ich ging,

stolpere über jeden Stein, über den ich gestolpert bin.

Stehe immer wieder auf und gehe genau die selbe Strecke weiter,

genau wie ich es tat.

Erst dann kannst Du urteilen.

(Autor unbekannt)

 

Die (un)sagbaren Sätze: Ein paar Lieblings-No-Gos und Gos gefällig?

Tabu: Was besser ungesagt bleibt.

Neulich, als eine neue schwerwiegende Hiobsdiagnose mich ereilte, kommentierte ich irgendwo bei Facebook eines meiner eigenen Postings: „Das Leben ist ein Arschloch. Das denke ich gerade. Und dass mein Abschied jetzt beginnt.“ Nur wenige Minuten später lese ich unter den Reaktionen die Klassiker unter den No-Gos: „Stop, stop, stop, nein! Du schaffst das, du berappelst dich wieder“ – „Jetzt sag doch nicht so was, es geht immer weiter“ – „Du bist so eine starke Frau, du kommst da durch!“ Ich war schwer versucht zu antworten: „Wollt ihr mir meine Gefühlslage absprechen? Ihr seid nicht ich. Und wie sollte ich das schaffen? Wie mich berappeln? Wenn EDS doch unheilbar und chronisch progredient ist? Und jetzt noch die Gefäßkompressionen da sind? Und überhaupt: Stark bin ich schon lang nicht mehr. Und ich muss es auch nicht sein.“ Ich bin nicht böse, nicht verletzt, nicht beleidigt, wenn solche Sätze kommen. Ich schätze jede und jeden, der es einfach „ein Bisschen unglücklich“ formuliert hat. Schließlich weiß ich, wie es gemeint ist.

Willkommen: Was gut und gern gesagt werden kann.

Alles, was dem Schwerkranken nicht die eigenen Vorstellungen überstülpt. Die Zauberformel heißt: sich selbst zurücknehmen. Den andern so leben und sterben lassen, wie es gut für ihn ist. Fragen, ob er gerade Hilfe benötigt und bei was konkret. Fragen wie es heute geht. Denn was soll jemand, der in einer chronischen Abwärtsspirale steckt, auf das Allerwelts-„Wie-geht’s“ erwidern? Ein „Heute geht es mir passabel“ als Antwort hat eine ganz andere Qualität und stärkt den Moment als ein „Mir geht’s mies, das weißt du doch!“ Und wenn man gar nicht weiß, was sagen, dann sagt man eben genau das.

Die meisten Reaktionen auf meinen Facebook-Kommentar und meine jüngsten Postings waren übrigens sehr reflektiert: „Ich wünsche dir Kraft und verantwortungsvolle Ärzte.“ – „Einen guten Weg für dich, wo immer der auch entlanggeht.“ – „Was können wir jetzt für dich tun? Lass uns telefonieren.“

Zum Schluss noch zwei besondere No-Gos:

„Ich bewundere dich, wie du damit umgehst.“

Auch sehr beliebt ist das Bewundern des Kranken. Und wie er oder sie das alles meistert. Ja was wäre denn die Alternative? Mich am Catwalk im Flur aufknüpfen? Mit dem Küchenmesser Katzenfutter aus mir machen? Mich mit einer der Zebrafiguren, die für die Blogfotos modeln, selbst erschlagen? Was bleibt mir, als mein Leben mit all den Einschränkungen so gut zu leben, wie es geht? An den seltenen besseren Tagen zu schreiben, zu telefonieren, mit meinen Miezen in den Garten zu gehen, ohne dabei vor Schmerzen irre zu werden oder vor Erschöpfung mitten im Gespräch am Tisch einzuschlafen? Ich mag dafür nicht bewundert werden. Genausowenig wie bemitleidet. Ich bin derselbe Mensch wie immer. Auch wenn ich mittlerweile bei vielen Dingen um Hilfe bitten muss.

„Denk jetzt unbedingt nur noch an dich selbst!“

Wie jetzt? Soll ich plötzlich nicht nur schwer krank, sondern schwer krank und obendrein noch egoistisch sein? Ne, das bin nicht ich. Für mich habe ich ohnehin nie viel gebraucht und gewollt. Mehr Gerechtigkeit auf der Erde. Ein kleines Glück mit meinen Tieren. Weiter Bücher schreiben. Gesundheit. Mehr habe ich nie gewollt. Für meine Freunde und meine Tiere werde ich immer da sein, solange es irgendwie geht. Leute, die nur an sich denken, waren noch nie mein Umgang. Und eher friert die Hölle ein, als dass ich mich unter die Egoisten-Teufel mische. Was nicht heißt, dass ich auch Gutes für mich mache. Aber …

… ich werde immer die Petra bleiben, die ich bin.

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EDIT:

Selten hat einer meiner Beiträge eine solch kontroverse und intensive Diskussion ausgelöst. Das war auf Facebook. Es scheint, als seien viele gekränkt durch ihn und meinen, sie dürften gar nichts mehr sagen. Andere interpretieren hinein, ich sei verletzt und müsse mir jetzt mal endlich Luft machen. Nein, seid ganz beruhigt. Es ist erstens tatsächlich wirklich ehrlich so, wie es oben explizit steht: Ich bin nicht böse, nicht verletzt, nicht beleidigt durch „Floskeln“. Sagt weiter, was Ihr denkt und wünscht. Und kränken will ich zweitens erst recht niemanden. Auch das steht da oben: „Ich schätze jede und jeden, der es einfach ‚ein Bisschen unglücklich‘ formuliert hat. Schließlich weiß ich, wie es gemeint ist.“

Ich möchte mit diesem Text einfach nur anregen, einmal über die obigen Standardsätze gegenüber (chronisch) Kranken nachzudenken. Ganz allgemein, gar nicht nur in Bezug auf mich. Nicht mehr und nicht weniger steckt hinter diesem Blobeitrag.

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